Mifa Tourenräder

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Mifa Tourenrad Modell S 1

(Katalogbild von 1957)

Tourenräder wurden im Mifa-Werk Sangerhausen ab 1946 wieder hergestellt. Bis in die 1970er Jahre hinein bildeten sie das Rückgrat der Modellpalette. Neben den 28"-Tourenrädern zählten zeitweise auch 26“-Tourenräder zum Sortiment, sie wurden jedoch in vergleichsweise kleiner Stückzahl produziert. Tourenräder in „Export-Ausführung“ mit zum Teil deutlich geänderter Ausstattung gab es nur kurzzeitig in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Im Zuge der Sortimentsbereinigung 1959/60 erfolgte eine Umbenennung der 28“-Modelle. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass auch die 26"-Tourenräder nach der Sortimentsbereinigung noch weitergebaut wurden, entsprechende Modellnummern sind jedoch nicht bekannt.

Rahmen und Ausstattung

Alle Tourenrad-Modelle von Mifa besaßen einen Stahlrohrrahmen mit einer Rahmenhöhe von 560 mm (beim Modell S 2 550 mm) und einfache Gabelenden. Diese Rahmen hatten einen offenen Hinterbau mit gekröpften Ketten- und Sitzstreben. Die Damenfahrräder wurden zeitweise in mehreren verschiedenen Rahmenformen angeboten. Markant war auch eine Sonderausführung des Export-Tourenrads mit doppeltem Oberrohr.

Die Rahmen der Tourenräder waren anfangs nur am Steuerkopf außengemufft. Bis mindestens 1948 war die Sattelaufnahme geschweißt. Auch die bisher mit den Rahmenrohren verschweißte Tretlagerhülse wurde erst im Verlauf des Jahres 1954 auf eine außengemuffte Bauweise umgestellt. Bei allen Damen-Tourenrädern wurden zudem Oberrohr und Sitzrohr noch bis 1959 miteinander innenverlötet, durch die Sortimentsbereinigung erfolgte auch hier der Wechsel zu einem vollständig außengemufften Rahmen.

Neben einem Glockentretlager waren lackierte Stahlfelgen und lackierte Stahlschutzbleche gemeinsame Merkmale aller Tourenräder. Tourenlenker ("NSU-Form", ohne Vorbau), Stempelbremse mit Gestänge sowie ein Tourensattel waren weitere Kennzeichen dieser Fahrräder. Eine Werkzeugtasche (zunächst zur Befestigung am Rahmen, später dann am Sattel) und eine Luftpumpe ergänzten die Ausstattung. Bei den ab 1959 angebotenen Tourenrädern wurden die Rahmen um Anlötteile für Dynamo, Luftpumpe und Kettenschutz ergänzt. Den Damen-Tourenrädern vorbehalten blieben ein Kleidernetz am Hinterrad und ein Kettenschutz. Die Export-Tourenräder unterschieden sich vor allem durch die Felgen, die Gestänge-Felgenbremsen und das Keiltretlager von den regulären Modellen.

Modellreihen und Modellbezeichnungen

Durch eine Modellübersicht aus der Zeit um 1950 lassen sich die damaligen Typenbezeichnungen der Tourenräder nachvollziehen. Zu diesem Zeitpunkt gab es demnach die Modelle S 1, S 2 und S 16. Ob davor andere Modellnummern verwendet wurden, lässt sich mangels entsprechender Übersichten nicht klären. Die Damenräder (S 2 und S 16) besaßen unterschiedliche Rahmenformen. Vermutlich 1953 wurden sie durch das Modell S 2/16 ersetzt. Dieses Damen-Tourenrad und das Herren-Modell S 1 wurden bis zur Sortimentsbereinigung beibehalten. Lediglich durch Kataloge von 1957 und 1958 sind die Export-Ausführungen S 1 D und S 1 E belegt. Gleichwohl bereits 1953 sowohl Damen- als auch Herren-Tourenräder in 26“-Ausführung produziert wurden, findet sich lediglich in einer Modellübersicht von 1958 der Hinweis auf entsprechende Typenbezeichnungen (S 9 für Herren, S 10 für Damen). Bis 1959, dem Jahr der beginnenden Sortimentsbereinigung, verwendete Mifa folgende Modellnummern:

Modell-
nummer
Erläuterung
S 1 Herrenrad 28" (194x bis 1959)
S 2 Damenrad 28" mit gebogenem Ober- und Unterrohr
(194x bis 1953)
S 16 Damenrad 28" mit geradem Ober- und Unterrohr
(194x bis 1953)
S 2/16 Damenrad 28" mit gebogenem Oberrohr und geradem Unterrohr
(1953 bis 1959)
S 1 D Herrenrad 28", Exportausführung mit doppeltem Oberrohr
(belegt für 1957 bis 1958)
S 1 E Herrenrad 28", Exportausführung
(belegt für 1957 bis 1958)
S 9 Herrenrad 26"
(belegt für 1958)
S 10 Damenrad 26"
(belegt für 1958)

Im Zuge der Sortimentsbereinigung wurde die Modellpalette der Fahrradhersteller in der DDR gestrafft. Als Ersatz für die 28"-Schwanenhals-Damentourenräder von Diamant (Modell 106) und Möve (Modell 15) wurde bei Mifa das Modell 152 ins Sortiment aufgenommen. Das bisherige Modell S2/16 wurde unter der Bezeichnung Modell 153 weiterproduziert, jedoch vermutlich nur bis 1964. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass auch 26"-Tourenräder zu dieser Zeit noch hergestellt wurden. Nachdem bei Möve und Diamant 1961/62 auch die Herstellung von Herrentourenrädern (Modelle EH und 35 101) beendet wurde, kam bei Mifa wieder ein Herren-Tourenrad (Modell 101) zurück ins Sortiment. Die Modelle 101 und 152 wurden noch bis 1979 produziert, zuletzt aber in nur geringen Stückzahlen.

Modellpalette nach der Sortimentsbereinigung (ab 1959):

Hintergrundwissen zur Produktionseinstellung

1971 reduzierte Mifa die Zahl der produzierten 28"-Tourenräder gegenüber dem Vorjahr deutlich (1970: 70.340 Stück, 1971: 29.900 Stück). Für 1972 sah der Plan nur noch 3.240 28"-Tourenräder vor, für 1973 dann deren vollständige Produktionseinstellung. Offenbar wollte der VEB Mifa durch den Wegfall der im Verkauf preiswerten 28"-Tourenräder und die erhöhte Produktion von besser ausgestatteten und damit teureren 26"-Tourensporträdern die vorgeschriebenen Planauflagen (Wert der Warenproduktion und Gewinn) erfüllen. Damit verstieß man jedoch gegen die politischen Beschlüsse zur Preisstabilität, die auch die Bereitstellung von Produkten der unteren Preisgruppen (hier in Form der einfachen 28"-Tourenräder) vorsah. Die "Arbeiter- und Bauerninspektion" (eine Kontrollinstitution, die dem Zentralkomitee der SED und dem Ministerrat der DDR unterstellt war und die Erfüllung der Partei- und Regierungsbeschlüsse sichern sollte) untersuchte den Fall. Durch den Generaldirektor der VVB Automobilbau, Winfried Sonntag, wurde schließlich entschieden, dass ab Mai 1972 an Stelle der 28"-Tourenräder 26"-Tourenräder produziert werden sollten. Die 26"-Räder sollten die gleichen Preise wie die 28"-Räder und die gleichen, z.T. auch besseren "Gebrauchswerteigenschaften" aufweisen. Für 1972 war nur noch die Produktion von 2.240 Stück 28"-Tourenrädern und bereits von 17.000 Stück 26"-Tourenrädern vorgesehen.

In diesem Zusammenhang wurden die 28"-Tourenräder durch die 26"-Typen 107 und 159 ersetzt. In einem Mifa-Katalog des Jahres 1971 tauchten die 28"-Tourenräder letztmalig auf. Auch in internen Produktionsunterlagen von ca. 1975 findet sich kein Hinweis auf die Produktion des Modells 152 oder 101, sie werden im Produktionsplan nicht erwähnt. Tatsächlich muss die Fertigung jedoch fortgesetzt worden sein, vermutlich erfolgte diese im Rahmen der Ersatzteilproduktion. Belegexemplare der Modelle 101 und 152 sind bis zum Jahr 1979 hin bekannt. Sie sind jedoch seltener als damalige 26"-Tourensporträder, was auf eher geringe Stückzahlen schließen lässt. Offensichtlich war man intern bemüht, eine bestehende Angebotslücke zu füllen, da zu dieser Zeit keine 28"-Touren(-sport)räder erhältlich waren. Sehr ungewöhnlich ist jedoch, dass diese langjährige Fortsetzung der Produktion inoffiziell erfolgte. Über die Gründe ist nichts bekannt. Die Angebotslücke wurde schließlich 1979/80 durch Einführung der 28"-Tourensportradmodelle 104 und 162 geschlossen, was den Belegexemplaren nach die endgültige Einstellung der Produktion der "klassischen" 28"-Tourenräder zufolge hatte. Das derzeit jüngste bekannt gewordene Exemplar hat die Rahmennummer 4 240 969 und besitzt bereits das überarbeitete Chromfolien-Dekor mit schwarzer Schrift.