Fahrradbau der DDR im internationalen Vergleich: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 8. September 2015, 20:51 Uhr
Der folgende Artikel bietet einen kurzen Überblick über die Besonderheiten des Fahrradbaus der DDR im internationalen Vergleich, insbesondere mit der BRD.
1. Phase: Unmittelbare und frühe Nachkriegszeit 1945-1956
Im kriegszerstörten und besetzten Deutschland begann man noch 1945 mit der Wiederaufnahme der Fahrradproduktion, die vor allem unter großer Materialknappheit litt. Die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen verhinderte den zonenübergreifenden Handel mit dringend benötigtem Halbzeug (Bleche, Draht, Rohre) und Fahrradkomponenten. Das war vor allem für die Fahrradproduzenten in der SBZ problematisch, da sie ihre Komponenten bislang oft von westdeutschen Herstellern bezogen hatten.
Bis Ende der 1940er Jahre konnten in beiden Teilen Deutschlands nur wenige Fahrräder hergestellt werden, die zudem auf dem freien Markt bis zu den Währungsreformen nicht erhältlich waren. Man produzierte für den dringenden Bedarf bei Behörden und wichtigen Industriezweigen (Bergbau); in der SBZ kamen dazu hohe Reparationsleistungen in Form von Fahrrädern, die an die Sowjetunion und die Besatzungstruppen im Land gingen. Dies änderte sich ab 1949. Auf dem freien Markt waren Fahrräder nun erhältlich, wenngleich auch noch sehr teuer. Innerhalb kurzer Zeit stiegen die Produktionszahlen rapide an - so wurden 1950 in der DDR bereits 338.300 Fahrräder produziert, noch zwei Jahre zuvor waren es nur 165.800 (für 1949 liegen keine Angaben vor); und bereits 1953 baute man die bis 1990 nicht mehr erreichte Stückzahl von 767.603 Fahrrädern, die aber wiederum vor allem in den Export gingen!
Bis etwa 1956 dominierten einfache, schwere Tourenräder mit zumeist 28"-Laufrädern, die sich von den Vorkriegs-Baumustern nur geringfügig unterschieden und technisch sehr einfach gehalten waren. Es kann jeoch festgestellt werden, dass in Westdeutschland teilweise bereits Anfang der 1950er Jahre Anbauteile eine moderne Gestaltung und technische Umsetzung aufwiesen, so etwa Gummi-Griffe, Pedale, Gepäckträger (Befestigung am oberen Steg des Hinterbaus). An DDR-Tourenfahrrädern änderte sich bis in die 1960er Jahre nur sehr wenig (Lackierung, Dekor, Komponenten der Beleuchtungsanlage).
Tourenräder dieser Zeit waren in der Regel schwarz lackiert, wobei der Steuerkopfbereich zumeist farblich abgesetzt war (Strahlenkopf oder "Flügel-Dekor") und sich, wie auch bei der Linierung, von Vorkriegsrädern nicht wesentlich unterschied. Ab etwa 1953 wurden Tourenräder dann auch mit bunter Lackierung angeboten. Sport- und Rennräder waren beinahe ausschließlich farbig lackiert - hier wechselte man 1956, dem internationalen Trend folgend, auf zeitgemäße Lasur- und Metallic-Lackierungen.
Sport- und Rennrad-Modelle (teilweise mit Gangschaltung) machten in Ost- und Westdeutschland Anfangs nur einen kleinen Teil des Produktionsumfangs aus. Die in der DDR ab 1954 produzierten Sporträder von Diamant fielen durch ihre besonders grazile Bauweise mit schmalen Alu-Felgen und der Rundscheidengabel auf. Diese Räder, wie auch die neuentwickelten Straßen-Renn- und Bahnräder, waren optisch wie technisch auf der Höhe ihrer Zeit und international voll konkurrenzfähig, wenngleich es teilweise starke Qualitätsprobleme bei den volkseigenen Zulieferbetrieben (etwa FZTW, Reifenwerke) gab.
Die Serienfertigung von neuartigen Fahrradbaumustern, etwa dem Hermann Klaue-Rad in der BRD, fand in der DDR damals nicht statt. Zwar gab es auußergewöhnliche Entwicklungen wie das National Leichtmetallrad der Hainsberger Metallwerke, es blieb jedoch bei nur wenigen Prototypen, die auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1951 vorgestellt wurden.
Während sich das Fahrradangebot in beiden Teilen Deutschlands zunächst sehr ähnlich entwickelte, traten auf Seiten der Produktion entsprechend der wirtschaftspolitischen Grundsätze erhebliche Unterschiede ein. Während in der BRD eine Vielzahl an privaten Fahrradherstellern und Zulieferern produzierte, wurden Hersteller in der SBZ und DDR bereits seit 1947 in Volkseigentum überführt und mit einer Zentralisierung der Wirtschaft begonnen. Wichtige volkseigene Betriebe der Fahrradindustrie wurden in der Vereinigung Volkseigener Betriebe Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) zusammengeführt.
2. Phase: Die große Zeit der 26"-Fahrräder 1957-1982
Um 1957 trat eine Trendwende im internationalen Fahrradbau ein. Eine Grundversorgung mit Fahrrädern als reines Transportmittel war zumindest im Westen erreicht, und das Fahrrad erfuhr nun allmählich einen Bedeutungswandel hin zum Sport- und Freizeitartikel. Dieser Trend dürfte von der Sorge westlicher Produzenten ausgelöst worden sein, die sich Gedanken machten, wie man einen Absatzeinbruch bei den Fahrrädern verhindern könnte. Jedenfalls wurde um 1957 ein sportlicher Fahrradtyp mit 26"-Laufrädern populär, den es zuvor zwar auch schon gab, jedoch eher als ein Nischenprodukt. Durch die geringen Abmessungen, das geringe Gewicht des sportlichen Rahmens, sowie bunte Farbabstimmungen hoben sie sich deutlich von den schweren Tourenrädern nach Vorkriegsbauart ab. Dieser Fahrradtyp nahm international eine dominierende Stellung ein. Die Räder waren in der Regel bereits mit Felgenbremse und aufpreispflichtig auch mit 3-Gang-Nabenschaltung ausgestattet. In der DDR wurde der neue Trend in abgewandelter Form aufgenommen. Von Diamant erschienen ab 1957 so genannte Sportliche Tourenräder mit 26"-Laufrädern. Deren Rahmen und Gabel verfügte zwar über Ausfallenden, er war jedoch angelehnt an die Tourenräder recht massiv gebaut und hatte die klassische Rahmengeometrie mit großem Nachlauf. Dennoch waren die Räder nicht schwerer als vergleichbare 26"-Sporträder aus der BRD. Leichtmetallfelgen, ein Flachlenker und eine vergleichweise "schnelle" Übersetzung betonten die sportliche Note. Felgenbremse und Gangschaltung waren hingegen zunächst nicht verfügbar. Auch in der Optik blieb man eher konservativ, der Chick der späten 1950er und 1960er wurde kaum aufgegriffen, der altmodische Schwanenhalsrahmen bei den Damenrädern beibehalten (bis 1975). Diese Tourensporträder dominierten fortan die Produktion bei Diamant (später auch bei Mifa), womit sich eine eigene Entwicklungstendenz mit Fahrradbau der DDR herausbildete, die man in westlichen Ländern so nicht verfolgen kann. Mifa hatte dem westlichen Trend entsprechende 26"-Sporträder durchaus im Programm, sie spielten jedoch eine eher untergeordnete Rolle und wurden um 1960 gänzlich aus dem Sortiment genommen.
Die Zahl der großen Fahrradhersteller ging im Verlauf der 1950er Jahre sowohl in Ost wie auch West stark zurück. War dies in der BRD ein Ergebnis der Bewegungen in der Marktwirtschaft, folgte man in der DDR einem Plan zur Zentralisierung der Produktion. Dieser beinhaltete unter anderem eine Sortimentsbereinigung für 1959, bei der Diamant und Mifa zu den einzigen großen Fahrradherstellern festgelegt und deren Sortiment so profiliert wurde, dass es keine unnötigen Überschneidungen im Produktangebot gab. Während Diamant sportliche Tourenräder, Sport- und Rennräder produzierte, war Mifa nun auf die Herstellung einfacher Räder wie Kinder- und Jugendräder, sowie klassische Tourenräder augerichtet worden. Letztere wurden in der BRD kaum noch produziert. Die Diamant Sporträder waren im positiven Sinne nach wie vor ein besonderes Merkmal des DDR-Fahrradbaus. Insgesamt jedoch ist eine robuste, aber deutlich einfachere Ausstattung damaliger DDR-Räder im Vergleich zu den BRD-Rädern erkennbar.
In der BRD war der Fahrradmarkt grundlegend anders aufgestellt. So gab es eine breite Auswahl an aufpreispflichtigem Zubehör, zudem stand mit den Angeboten von Fahrradmarken und -zulieferern aus Österreich, Frankreich, Italien, später Japan usw. eine viel größere Angebotspalette zur Verfügung als in der DDR, sodass der individuelle Kundenwunsch auf eine ganz andere Weise erfüllt werden konnte (sofern dieser die nötigen finanziellen Mittel dazu aufzubringen in der Lage war).
Im Verlauf der 1960er und 1970er tat sich - mit Ausnahme der hochwertigen Rennräder - nur wenig innovatives auf dem internationalen Fahrradmarkt. An Rahmen, Bremsen, Tretlager und Gangschaltung der am meisten verkauften Modelle fanden kaum relevante Weiterentwicklungen statt, auch gab es mit einer Ausnahme keine neuen Fahrrad-Baumuster: Das Klapprad wurde Mitte der 1960er zu einem großen Trend. Diesen griff die DDR auch recht konsequent auf. Man erkannte im simplen, aber beliebten Klapprad die Möglichkeit, endlich eine ausreichende Versorgung mit Fahrrädern herzustellen. Das Mifa Klapprad wurde in sehr großen Stückzahlen hergestellt.
3. Phase: Innovationen 1982-1990
Im Zusammenhang mit technischen Innovationen durch die seit Jahren schon aufstrebenden Japaner, sowie die Neuentdeckung des Fahrrads als Sport- und Freizeitobjekt in den USA, kam es zu einem Innovations-Schub auf dem Fahrradmarkt, der bald die Grenzen spezieller Fahrradmodelle verließ und einen allgemeinen Trend auslöste. Dieser zeigte sich ab etwa 1983 in einer Abkehr vom 26"-Laufrad, hin zu 28"-Sporträdern, die nun mit schmalen Felgen und schmaler Bereifung, sowie zunehmend auch mit Kettenschaltung ausgestattet waren. Prägend für diese Zeit ist die "Mixte"-Rahmenform (wurde in der DDR nicht realisiert). Die Pedalarme wurden nun nicht mehr mit Keilen befestigt, Ende der 1980er wurden die offenen Tretlager durch Industrie- und letztlich Patronenlager abgelöst. Die Felgenbremsen wurden zunehmend an den Streben gehalten ausgeführt. Die Kettenschaltung erfuhr durch Schrägparallelogrammschaltwerke ab Mitte der 1980er, und die "Hyperglide"-Zahnform Ende der 1980er enorme Fortschritte. Aus den USA kamen zudem Trends für neue Fahrrad-Baumuster, wie das Mountainbike und BMX-Rad. Einher damit ging die Innovation hin zu neuen Materialien für den Fahrradrahmen.
Die sich inzwischen in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindende DDR war völlig außerstande, derartige Innovationen mit zu begleiten, man mühte sich jedoch darum, den sichtbar populären und innovativen Trends in irgendeiner Weise zu folgen. Man versuchte, die inzwischen etwas verblassten Sportradmodelle dafür zu nutzen. Ab Mitte der 1980er wurde deren Produktionsanteil vergrößert und die zuvor sehr überschaubare Modellpalette aufgeweitet. Mit den Diamant-Rennsporträdern waren endlich auch Sporträder in unterschiedlicher Rahmenhöhe erhältlich. (Bisher wiesen mit Ausnahme der Rennräder alle DDR-Fahrräder für Erwachsene eine Rahmenhöhe von etwa 55-56 cm auf.) Auch ein BMX-Fahrrad wurde noch in die Fertigung aufgenommen, ein Mountainbike befand sich in der Serienvorbereitung. Da von den landeseigenen Zulieferern jedoch nahezu keine Innovationen mehr ausgingen, blieb es ein Ding der Unmöglichkeit, mit den aktuellen Trends wirklich Schritt zu halten. Zumal neben den moderner ausgerichteten Modellen nach wie vor auch völlig antiquierte Fahrräder mit lackierten Stahlfelgen, lackierten Stahlschutzblechen und Stempelbremse hergestellt wurden.
Typische Besonderheiten der Anbauteile
Aufgrund der voneinander getrennten Zuliefererindustrie, wiesen auch die Anbauteile der Fahrräder einige typischen Besonderheiten in Ost und West auf. Allgemein ist festzustellen, dass sich die Qualität der Fahrräder im Laufe der Jahre sowohl in Ost wie auch West infolge von Maßnahmen zur Rationalisierung bzw. Effizienzsteigerung allmählich verringerte.
Auf die Besonderheit der Rundscheidengabel an DDR Sport- und Rennrädern wurde bereits eingegangen. Die in der BRD übliche Pletscherplatte gab es an DDR-Fahrrädern grundsätzlich nicht, was jedoch nicht unbedingt als ein Nachteil anzusehen ist. Die Tretlager folgten in Ost wie West den gleichen Bauprinzipien, wobei in der DDR immer auch Modelle mit den veralteten Glockentretlager im Sortiment waren. Thompsen-Tretlager ohne Keilbefestigung des Pedalarms, wie sie sich in den 1980ern im Westen verbreiteten, gab es in der DDR erst ab 1990. Naben, Rücktritt- und Felgenbremsen wiesen an den verbreitetsten Fahrradmodellen nur geringe Unterschiede auf, allerdings wurde die sehr schwach wirkende Stempelbremse noch lange in der DDR verwendet, während sie in der BRD schon zu Beginn der 1960er vom Markt verschwand. Die erhältlichen Kettenschaltungen gab es mit drei bis zehn Gängen und entsprach dem Stand der Zeit. Die von Japan ausgehenden Weiterentwicklungen der Kettenschaltung - vor allem in den 1980er Jahren - wurden jedoch nicht nachvollzogen. Eine Nabenschaltung war auf dem Binnenmarkt der DDR grundsätzlich nicht erhältlich.
Fahrräder der DDR waren grundsätzlich häufiger mit Teilen aus Aluminium ausgestattet als im Westen. Dies betraf vor allem die Felgen und die Schutzbleche. Neben dem Vorteil des geringen Gewichts hatten diese den Nachteil, dass sie ihren Glanz relativ schnell verloren bzw. sich nur durch aufwändiges Polieren wieder auffrischen ließen. Im Westen wurde für Felgen und Schutzbleche in der Regel verchromter Stahl verwendet. Ebenfalls wenig langzeitbeständig war der Glanz der Speichen, die in der DDR zumeist aus verchromtem Stahl gefertigt waren und relativ schnell korrodierten. Im Westen wurden dagegen meistens Speichen aus nichtrostendem Material verwendet, die zwar nicht so sehr glänzten, dafür aber auch nach langer Nutzungsdauer und vernachlässigter Wartung ansehnlich blieben.
Als Lenker diente in der DDR ab Ende der 1950er meistens ein sportlicher Flachlenker oder schmaler Tourenlenker, während im Westen eher breite, geschwungene "Gesundheitslenker" üblich waren. Recht klare Unterschiede weisen auch die verwendeten Sättel auf. Nur vereinzelt wurde in der DDR der im Westen typische Terry-Sattel mit konvex geformter Sitzfläche verwendet. Stattdessen waren Tourensättel mit eher konkaver Sitzfläche verbreitet. Oft wurden auch sportliche Echtledersättel angebaut, die im Westen nach 1960 nur an besonders sportlichen Spezialmodellen verwendet wurden. Gepäckträger und Kettenschützer waren in der DDR - vor allem ab 1979 - sehr einfach gehalten und neigten sehr zum schleifen/klappern. Die Beleuchtungskomponenten waren weitgehend ähnlich, wobei an vielen DDR-Modellen noch bis 1990 das Lichtkabel am Rahmen außen verlegt wurde.
Ein grundsätzlicher Unterschied war, dass man sich im Westen das Fahrrad individuell mit den gewünschten Fahrradteilen ausstatten lassen konnte, sofern man das nötige Kleingeld dafür hatte. Dies war in der DDR nur sehr eingeschränkt möglich, es wurde ein möglichst durchdachter Typ produziert, von dem erwartet wurde dass er für die meisten Kunden eine optimale Lösung darstellt, man nahm dem Kunden die Auswahlentscheidung sozusagen vorweg. Ob Politik und Fahrrad-Produzent, oder der Kunde selbst - abhängig von seinem Geldbeutel - besser entscheiden können, welche Fahrräder die richtigen sind, ist eine ideologische Frage, die in West wie Ost unterschiedlich beantwortet wurde. Auch wurde die Warenverfügbarkeit in der DDR - allerdings ungewollter Weise - weniger durch den (relativ niedrigen) Preis, sondern eher durch Wartelisten, Beziehungen etc. reguliert. So war der Preis eines Diamant-Sportrads mit ca. 340 Mark für Jedermann erschwinglich, es dauerte jedoch mitunter viele Monate bis Jahre, ehe man es geliefert bekam.