TEXTIMA

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VEB Kombinat Textilmaschinenbau Karl-Marx-Stadt

Textima-Schriftzug wie er an einigen Rahmen verwendet wurde
Bernd Dittert vom SC Dynamo Berlin beim 4000- Meter-Einzelverfolgungsfahren auf einem TEXTIMA-Bahnrad (1988).

Mit dem Begriff TEXTIMA werden heute in Bezug auf Rennräder die handgefertigten Spezialanfertigungen bezeichnet, die zwischen dem Anfang der 1970er Jahre und 1990 unter anderem in der eigens dafür eingerichteten Forschungsabteilung des VEB Kombinat Textilmaschinenbau Karl-Marx-Stadt entstanden. Vor der Umstrukturierung des Kombinats im Jahr 1978 firmierte die Abteilung als "Entwicklung Rennrad" innerhalb des VEB Fahrradwerke Elite Diamant. Die Rennräder wurden mit Hauptaugenmerk auf eine optimale Aerodynamik gefertigt. Die Neuentwicklungen waren Kaderfahrern, dem Olympiateam und dem Nationalteam vorbehalten; daneben wurden aber auch Rahmen für Vereine gefertigt. Eine eigene Geschichte sind Straßenrennrahmen, die "schwarz" für ambitionierte Amateurfahrer gefertigt wurden und meist Kombinationen aus Merkmalen der zuvor genannten Klassen aufweisen.


Da die Entwicklung der Diamant-Rennräder in den 1960er Jahren praktisch abgeschlossen war und die Modelle als nicht mehr international konkurrenzfähig galten, begann man ab den frühen 1970er Jahren mit der separaten Entwicklung und Fertigung von außergewöhnlichen Rennrädern für Straßen- und Bahnrennen.
Diese entstanden zunächst nach den Ideen von Wolfgang Taubmann vom Wissenschaftlichen Zentrum (WZ) der HSfK in Leipzig sowie des Leipziger Ingenieurs Paul Rinkowski. Da Rinkowski sich bereits beim Bau seiner Liegeräder auf die handwerklichen Fertigkeiten des Leipzigers Hans Kochlik verließ, wurde dieser später in den Apparat des WZ aufgenommen.
Hans Kochlik baute seit seiner Zeit bei Preisser in Leipzig Renn- und Bahnräder für diverse Radsportler vom SC Rotation Leipzig (später umbenannt in SC Leipzig) und auch für einige von außerhalb. Ab den 1960er Jahren begann Kochlik zudem mit muffenlosen Rahmen zu experimentieren, um vorrangig das Gewicht zu senken und noch nicht um aerodynamische Vorteile zu erzielen.
Den Luftwiderstand durch Modifikationen am Rahmen und den Anbauteilen so zu verringern, dass bei gleichem Kraftaufwand höhere Geschwindigkeiten erreicht werden können, war dagegen die Grundidee, die Wolfgang Taubmann und Paul Rinkowski entwickelten. Neben den Veränderungen am Fahrrad selbst wurden durch umfangreiche Windkanaltests auch die Haltung des Fahrers beim Zeitfahren optimiert, sowie spezielle Kleidungsstücke, wie aerodynamische Trikots und Anzüge entwickelt, die durch Material und Form den Luftwiderstand weiter herabsetzten.

Ab Winter 1975 sah sich Hans Kochlik durch den gestiegenen Bedarf an Rennrahmen nicht mehr in der Lage, die anfallenden Arbeiten, unter anderem die Fertigung der Rahmen für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal alleine auszuführen. Deshalb stieß mit Christian Pyttel ein weiterer Rahmenbauer zum Team, der bereits auf erste Erfahrungen im Rahmenbau zurückgreifen konnte. Da die Forschungs- und Entwicklungsstelle in der Chemnitzer Nordstraße noch nicht arbeitsfähig war, wurde er nach Leipzig entsendet, um mit Hans Kochlik die Olympiarahmen für die Spiele 1976 in Montreal zu bauen. Einige Arbeiten, wie das Bearbeiten der Campagnolo-Kurbeln führte Pyttel in seiner Werkstatt in Flöha aus. In den nächsten Jahren kamen weitere Rahmenbauer, sowie Spezialisten für die Fertigung von Anbauteilen und Dreh- und Fräsarbeiten zum Team. Kochlik und Pyttel arbeiteten mehr als ein Jahr meist gemeinsam in der Kochliks Werkstatt in der Leipziger Beethovenstraße 10. Die heute in Sammlerkreisen allgemein bekannte Forschungsabteilung in der Chemnitzer Nordstraße war erst ab 1977 verfügbar.

Technische Entwicklung

Bei den Entwicklungen rund ums Bahn- und Rennrad lassen sich folgende Meilensteine festhalten:

1972 fuhr Jürgen Schütze bei den Olympischen Spielen in München erstmals einen Laufradsatz mit Flachspeichen im Wettkampf. Paul Rinkowski fertigte dafür in Eigenregie Holzfelgen an, da sich das das Felgenwerk Rackwitz nicht in der Lage sah, tropfenförmige Leichtmetall-Felgen herzustellen. Die Holzfelgen wurden mit je 40 Flachspeichen eingespeicht (vorne radial und hinten gekreuzt). Schütze erreichte mit diesem Laufradsatz die olympische Bronze-Medaille beim 1000m Zeitfahren.

Ein Jahr später, bei den Weltmeisterschaften 1973 in San Sebastián / Spanien, wurden erstmals muffenlose Rahmen im Wettkampf eingesetzt. Bis zum Ende der Produktion war ein Großteil der Rahmen muffenlos.

Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal setzte Norbert Dürpisch erstmals einen muffenlosen Rahmen mit Flachspeichen-Laufradsatz und ovalisierten Rahmenrohren ein. Paul Rinkowski berechnete bereits 1972 für einen Rahmen mit ovalisierten Hauptrohren, elliptischen Kettenstreben und einer aerodynamisch gestalteten Gabel einen theoretischen Gewichtsvorteil von 185 Gramm durch den verringerten Luftwiderstand.
In der Testphase erwiesen sich nur englische Reynolds-Rohre als geeignet, die Kaltverformung in die ovale Form unbeschadet zu überstehen. Ebenfalls eingesetzte Ishiwata-Rohre aus Japan neigten während der Kaltverformung zum Reißen und wurden längere Zeit vorrangig als Oberrohre verbaut, mutmaßlich um den Lagerbestand zu verarbeiten. Besonders leichte Rohrsorten, wie Reynolds 753 oder Ishiwata 015 wurden ebenfalls auf ihre Verwendbarkeit getestet. Um den Rohren das entsprechende Profil zu geben, fertigte Paul Rinkowski spezielle Formen aus Stahl (Außenform) und Hartgummi (Innenform) an und presste die Rohre mittels 30t Druck in Form.

1980 konnte Lothar Thoms in Moskau mit einer Hörnerlenker-Maschine sowohl einen neuen Weltrekord erreichen, als auch Olympisches Gold im 1000m Zeitfahren gewinnen.
Die Hörnerlenker-Räder basieren allerdings auf einer deutlich älteren Idee, die 1978 durch das Schweizer Nationalteam aufgegriffen wurde. Assos konstruierte erstmalig ein Fahrrad mit einem Rahmen aus Kohlefaser und einem Kohlefaser-Lenker, der am Gabelkopf montiert wurde. Das Team um Wolfgang Taubmann dachte diese Idee weiter und verbaute zusätzlich ein nach vorn abfallendes Oberrohr, was das Steuerrohr verkürzte, den Fahrer in eine optimale Position brachte und den Windwiderstand senkte. Dieser Typ Zeitfahrrad stellte die höchste Stufe der Entwicklung dar und wurde bis etwa 1986 gebaut.

Wenngleich die meisten Räder mit jeweils eigenen Details sehr individuell erscheinen, handelt es sich dabei um einige Grundmuster:

  • Auf der Straße sind dies das Straßenrennrad mit gleichgroßen Laufrädern (27") und das Zeitfahrrad mit 26" Vorderrad und 27" Hinterrad. Es gab auch Exemplare mit einem 24" Vorderrad, doch wog das schlechte Fahrverhalten den theoretischen Vorteil des dichteren Zusammenrückens der 4er-Gruppe nicht auf.
  • Im Bahnradsport wurden Rahmen für Punkte- und Scratchrennen (Direktpunkterennen) gefertigt (27"/27"). Außerdem gab es verschiedene Zeitfahrrahmen sowohl mit Hörnerlenkern als auch Rennbügel und klassischem Vorbau für die Bahn. Diese gab es sowohl mit gleich großen Laufrädern 27"/27" und auch mit unterschiedlich großen Rädern: 26"/27" für die 1000m Distanz und 24"/27" für die 4000m Distanz.
  • Rahmen für die Sprintdisziplin wurden besonders stabil z.B. mit doppelter Sattelstützenklemmung und Verstärkungsblechen ("Knotenbleche") im Hauptrahmendreieck gebaut.

Der Großteil der gebauten Räder war für den Bahnradsport. Da sowohl der Straßen-Olympia- als auch der Straßen-Nationalkader mit Rennrädern von Alan, Gazelle und Colnago ausgestattet waren, wurden deutlich weniger Straßenmaschinen gelötet. Eine Ausnahme bildeten die Straßenzeitfahrräder. Entwicklungen, die an Bahnrädern Einzug hielten, wurden auch für die Straße übernommen. Straßenrennräder hatten ebenso aerodynamische Rohre, muffenlose Rahmen und/oder Laufräder mit Flachspeichen und ab etwa 1980 Felgen in Tropfenform. Die Felgen fertigte man versuchsweise aus der besonders leichten Magnesiumlegierung Elektron, verwendete aus fertigungstechnischen Gründen (u.a. Gefahr der Selbstentzündung während der Bearbeitung) in Serie aber eine etwas schwerere, dafür aber leichter zu verarbeitende Aluminiumlegierung. Innovativ waren die Vorderradbremsen, die aerodynamisch vorteilhaft an der Rückseite der Gabel befestigt waren.

Zudem wurde auch mit verschiedenen Anbauteilen und Fahrradteilen experimentiert. Die ab 1987 von der FES übernommene "Nase" am Steuerkopf wurde ebenso zuvor erdacht, wie aerodynamische Lenker aus gedrücktem Aluminiumrohr, eine nadelgelagerte Kette (5/8") und besonders starke Vorbauten, um den Belastungen beim Sprint standzuhalten. Einige der Entwicklungen wurden übernommen, andere aus verschiedenen Gründen verworfen. Zu den bekanntesten Entwicklungen, die den Sprung zur "Serienreife" schafften, zählen die sogenannten "Bierhahnvorbauten", aerodynamische Leichtmetallfelgen (zusammen mit den verwendeten Reifen ergab sich eine Tropfenform), Sattelstützen mit tropfenförmigem Querschnitt und Sprintlenker aus 2mm starkem Stahlrohr.

Ebenso wurde die Entwicklung auf dem Gebiet der Kunststoffherstellung und die Möglichkeit des Einsatzes von Kunststoffen im Rahmenbau beobachtet und diskutiert. Die Bedeutung der Textima-Forschungseinrichtung nahm allerdings ab, nachdem die FES 1985 das erste selbsttragende Scheibenrad aus Carbon und 1987 das erste Bahnrennrad mit einem Carbonmonocoque (Type B87) für die Bahnrad-Weltmeisterschaft im selben Jahr präsentierte. Zwar wurde der Einsatz des Rades bei der WM durch die UCI nicht gestattet, aber der Weg zum Einsatz des neuen Materials Kohlefaser war damit geebnet.
Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul errang der Straßenvierer Olympisches Gold auf FES Carbon-Zeitfahrrädern. Der Bahnvierer erlangte Olympisches Silber. Einzig die Sprinter vertrauten noch einige Zeit den Stahlrahmen, bis auch dort Carbon als bevorzugtes Rahmenmaterial Einzug hielt.

Christoph Hähle führte die Tradition der Textima-Rahmenfertigung noch einige Jahre weiter, indem er in seiner Firma InBike Bahnräder nach Vorbild der Textima-Sprinträder baute.
1984 verließ Christian Pyttel die DDR und gründete eine Rahmenbaufirma in Rastatt, in der er bis zum heutigen Tag Rahmen baut, die ebenfalls in enger Tradition zu den Rahmen aus der Nordstraße stehen.

Farben und Dekor

Die Rahmen wurden im Allgemeinen mit Metallic-Lack lackiert und ohne weitere Verzierungen oder ein Dekor gefahren. Üblicherweise waren die Straßenrennrahmen blau und die Bahnrennrahmen silbern lackiert, wobei es natürlich auch Ausnahmen gab und einige Rahmen später in anderen Farben neulackiert wurden. In den 80er Jahren wurden einige Rahmen auch mit dem oben gezeigten Schriftzug ( TEXTIMA SPEZIAL ) versehen; teilweise zusammen mit den unten abgebildeten Aufklebern an Steuerkopf und Oberrohr.
Seltener war dagegen das rote Logo des Kombinats TEXTIMA und auch die Verwendung von Diamant-Aufklebern an den Spezialrennrädern. (vgl. (1) )

Galerie

Quellen und Weblinks